Interview in eigener Sache: Anni erzählt über ihre Motivation und Beweggründe einen Begleiter zu buchen.
In vielen öffentlichen Interviews und Diskussionen wird bei dem Thema männliche Sexarbeit der Fokus sehr auf die Sicht des Begleiters gelenkt. Mir war es im Gespräch mit Anni, einer Frau, die regelmäßig einen Callboy bucht, wichtig, mehr über ihre Gedanken und Beweggründe zu erfahren.
Wir wünschen uns beide, dass unser Interview aufklärt und es den Frauen nach dem Lesen vielleicht etwas leichter fällt, sich für oder auch gegen ein erotisches Abenteuer, einer Reise mit einem Callboy zu entscheiden.
Liebe Leserinnen und Leser, wir würden uns sehr freuen, wenn Ihr eure Gedanken und Impulse zu dem Thema unter dem Interview in der Kommentarfunktionen mit uns teilt! Selbstverständlich ist die Kommentarfunktion anonym.
Hier geht es zum vollständigen Interview…
Interview Anni
Liebe Anni, erzähl uns, was dich beschäftigt hat, bevor es zur ersten Buchung kam!
Bevor man als Frau den Schritt wagt, einen Begleiter zu kontaktieren, stellt man sich wahnsinnig viele Fragen. Man begegnet seinen eigenen und gesellschaftlichen Vorurteilen ganz alleine, während man vor dem E-Mail- Programm sitzt, mit dem man eigentlich eine Buchungsanfrage stellen wollte. Mir stellten sich viele organisatorische Fragen, aber auch Fragen, die meine eigenen Beweggründe und mein Verständnis von Sexualität betrafen. Wenn man sich die großen Buchungsportale im Netz anschaut, bekommt man als Frau den Eindruck, dass ein Treffen mit einem Callboy darauf abzielt, gemeinsam im Restaurant essen zu gehen, tiefe Gespräche zu führen, Nähe und Aufmerksamkeit zu erfahren und überspitzt gesagt, als Königin behandelt zu werden. Ich hatte das Gefühl, dass mir hier implizit vermittelt wird, dass es nicht oder weniger darum geht, Sex oder ein erotisches Abenteuer zu buchen. Das hat mich zunächst verunsichert.
Ich weiß, dass du den Begriff des Begleiters oder sinnlichen Begleiters sehr magst, ich bevorzuge den Begriff: Verführer. Es macht nämlich deutlich, dass es um eine erotische Reise geht und nicht um etwas Reales wie der nette Besuch beim Italiener.
Du hast mir erzählt, dass vor allem die Ungewissheit, wie ein Treffen abläuft, für dich die erste Hürde darstellte, Kontakt mit einem Begleiter aufzunehmen.
Ja. Ich wollte davor genau wissen, was mich erwarten wird und mit was ich rechnen kann und darf. Das weiß man ja einfach nicht, weil niemand darüber redet und vor allem darüber reden kann! Mir fehlten Erfahrungsberichte von Frauen, die bereits einen Begleiter gebucht hatten. Die Kommentare unter den Profilen waren aus meiner Sicht wenig aussagekräftig. Nachdem ich mutig entschlossen hatte, es einfach auszuprobieren, tippte ich meine Buchungsanfrage, die ich mit wenigen Sätzen formulierte, in die Buchungsmaske des Portals. Ich bekam sehr schnell eine Rückantwort. Ab diesem Moment schrieben wir ein paar Mal über WhatsApp. Wir sprachen über meine Vorstellungen und Wünsche und vereinbarten einen Ort und einen Zeitpunkt für das erste Treffen. Ich wählte für das erste Date ein Hotel, das auch tagsüber oder stundenweise buchbar war. Später hat er die Hotels gebucht, damit ich meine Anonymität wahren konnte.
Mich interessierte sehr, was ich körperlich erwarten durfte. Mein Begleiter antwortete darauf, dass alles erlaubt ist, was mir gefällt und mir seelisch und körperlich nicht schadet. Auch Küssen war erlaubt. Die Verhütung war ein wichtiges Thema für mich. Hier ist gesetzlich klar geregelt, dass sich der Begleiter um den geschützten Verkehr kümmert. Im Rückblick und in Zukunft fände ich es für die Frauen aber auch wichtig zu wissen, ob alle Callboys zum Beispiel vasektomiert sind.
Du beschreibst, dass du dir im Vorfeld viele Gedanken auch hinsichtlich gesellschaftlicher Vorurteile gemacht hast. Welche Gedanken haben dich bewegt?
Man bekommt von der männlichen Sexarbeit gar nicht so viel mit und die wenigen Vorstellungen, die wir haben, sind sehr stereotyp. Es wird ein bestimmtes Frauenbild, aber auch ein bestimmtes Männerbild in allen öffentlichen Diskussionen suggeriert. Die Gesellschaft erwartet einen bestimmten Typ Frau, die einen Callboy bucht, aber natürlich auch von Seiten der Frau, imaginiert man sich einen bestimmten Typ Mann, der als Callboy arbeitet.
Ich habe mir auf jeden Fall einen selbstbewussten, eher emotionslosen und forschen Mann vorgestellt, der mich sofort führt und lenkt und genau weiß, wohin die Reise geht. Begegnet bin ich einem körperlich starken, aber sehr zurückhaltenden Menschen, der fast schon fragil wirkte. Seine Haltung mir gegenüber, seine Art mit mir zu kommunizieren war ebenfalls alles andere als stereotyp und eher neu für mich. Aber natürlich sind alle Callboys unterschiedlich. Insgesamt wird öffentlich schon ein wenig das Märchen eines selbstbewussten Ritters erzählt, der das scheue Aschenputtel rettet und endlich glücklich macht! Gesellschaftlich wird die männliche Sexarbeit weniger abgewertet als die weibliche und manchmal liest man sogar, dass die Arbeit des Callboys einem Traumjob gleicht. Vielleicht wird dieses Bild deshalb so häufig transportiert, weil unsere Gesellschaft immer noch sexistisch ist. Ich weiß es nicht so genau.
Frauen, die einen Begleiter buchen, sind auf jeden Fall nicht alle per se unattraktiv und unerfahren. Es sind auch nicht alles gestresste Managerinnen oder Frauen, die schlechte Erfahrungen gemacht haben oder verletzt worden sind. Manche Frauen, so wie ich, buchen einen Begleiter, weil sie Lust auf Sexualität, Leidenschaft und Sinnlichkeit haben. Einfach so. Es stigmatisiert aus meiner Sicht die Frauen, wenn wir denken, dass nur bedürftige Frauen einen Callboy buchen und nicht einfach aus hedonistischen Gründen heraus. Natürlich gibt es Frauen, die es aus den oben genannten Gründen tun, aber es gibt eben auch andere. Würden wir denken und glauben, dass es nur die eine Gruppe wäre, wäre das sehr einseitig gedacht. Es gibt einfach die unterschiedlichsten Gründe. Wenn wir über Sexarbeit und Callboys reden, reden wir auch automatisch über das Verständnis und die Rollenbilder von Frau und Mann und die Art, wie wir mit Sexualität in unserer Gesellschaft umgehen.
Wie gehen wir denn mit Sexualität um und was hat das mit deiner Erfahrung mit dem Begleiter zu tun?
Was wir mit einer Erfahrung machen, ist natürlich höchst individuell. Aber wenn ich aus dem Nähkästchen plaudern darf, dann kann ich erzählen, dass ich sexuell selten so achtsam behandelt worden bin, wie von meinem Begleiter – und ich hatte wohlgemerkt viel Sex in meinem Leben. Ich habe den Sex sehr genossen und genieße ihn immer noch sehr. Ein wichtiger Aspekt in diesem Zusammenhang ist sicher, dass, wenn wir Sex im Privaten haben, immer auch ein beidseitiger Erwartungsdruck mitschwingt. Wir fühlen uns wahrscheinlich auch irgendwie bewertet. Bei meinen Treffen mit meinem Begleiter konnte ich dieses Konstrukt irgendwann ablegen. Das fand ich als Frau wahnsinnig heilsam. Auch wenn ich mich ehrlich gesagt immer noch dabei erwische, dass ich mir Gedanken darüber mache, ob mein Begleiter unsere Treffen ebenfalls genießt.
Männer nehmen sich Sex in unserer Gesellschaft viel selbstverständlicher als wir Frauen das tun. Und da bin ich wieder beim Currywurstmythos. Nicht jede Frau, die einen Callboy bucht, will Essen gehen und umgarnt werden, sondern manche und einige wollen einfach sexuell befriedigende Momente erleben, die besonders sind, ganz ohne Verpflichtung. Eben genauso wie es die Männer tun, wenn sie für 50 Euro eine Sexarbeiterin aufsuchen. Warum können Männer eigentlich für 50 Euro Sex kaufen und wir nur ab 300 Euro aufwärts? Das ermöglicht nicht allen, sondern nur den sehr gut verdienenden Frauen „Sex zu buchen“. Und das wohlgemerkt dann auch nur einmal im Monat. Hier ist noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten und ein Umdenken nötig!
Immer wieder hat dich das Thema beschäftigt, dass du uns für Sex bezahlst. Was passiert denn, wenn wir für Sex bezahlen?
Moralisch bewerten wir Sexarbeit, weil wir für Sex Geld bezahlen. Also es als Dienstleistung in Anspruch nehmen.
Sexualität ist eine intime Kommunikation. Und für Frauen wahrscheinlich noch enger an Beziehung gekoppelt als bei Männern. Das ist biochemisch gut erklärbar, aber sicher auch gesellschaftlich. Dass die Intimität, die ich mit meinem Begleiter erlebe, so selbstverständlich daher kommt, finde ich im Übrigen wahnsinnig bereichernd und ich genieße diese Augenblicke sehr. Dass ich dafür Geld bezahle, stört mich tatsächlich immer noch. Geld hat einen materiellen und keinen emotionalen Wert. Das beschämt mich. Es ist nicht gleichwertig. Ich bekomme Seelen- und Körperluxus und er bekommt eine materielle Vergütung. Das ist für mich moralisch eher verwerflich und weniger die Tatsache, dass er mit mir Sex hat und seinen Körper hergibt.
Wenn wir über männliche Sexarbeit reden, die von Frauen genutzt wird, müssen wir also auch darüber reden, ob man Sexualität von Emotion und Beziehung abtrennen darf und kann? Eine moralische Frage?
Sexuelle Autonomie ist für jeden wichtig, wenn nicht sogar essenziell, um ein glückliches Leben zu führen. Es ist sicher schöner, Emotion und Beziehung mit Sexualität zu verbinden, aber man kann auch mit einem fremden Menschen für einen Augenblick Sex und intensive Nähe erleben.
Einem fremden Menschen nah zu sein, war etwas, was ich mir nicht vorstellen konnte. Aber ich habe gemerkt, dass ich bei einem fremden Menschen sehr wach und präsent bin und dadurch eine intensive körperliche Verbindung und sexuelle Anziehung entstehen kann. Das ist sehr spannend, denn in Beziehungen schwindet die Lust ja genau deshalb, weil man nicht mehr so achtsam und aufmerksam ist. Mit der Zeit ist mir mein Begleiter natürlich weniger fremd, aber die Rollen, die wir beide einnehmen, hält die Distanz zwischen uns aufrecht. Merk- würdig (absichtlich so geschrieben) fand ich zu Beginn übrigens, nichts über meinen Begleiter zu wissen. Eigentlich wusste ich ja nun nicht mal, ob der Name „echt“ ist. Hier sind wir wieder beim Spiel der Realitäten. Das Spiel von Nähe und Distanz ist das, was Sexualität in diesem Kontext und aus meiner Sicht sehr erregend macht.
Man könnte sich natürlich fragen, warum du nicht einfach eine Affäre beginnst oder eine Freundschaft + pflegst, statt Geld für Sex auszugeben?
Eine Affäre – und so nennen ich einfach mal alle sexuellen, kurzweiligen Beziehungen – gaukeln stets etwas vor! Man begegnet sich nämlich immer auf zwei Ebenen, auf der privaten sowie auf der sexuellen. Vieles bleibt hier regellos, unklar und deshalb enden diese Begegnungen meist schmerzhaft und tragisch. Wir sind da nicht ehrlich in unseren Gefühlen wahrscheinlich. Viele tun ja gerade so, als ob es Verlustangst und Eifersucht nicht geben würde und eine Erfindung des Menschen und des Kapitalismus wäre. Deshalb boomt ja auch die Vorstellung von polyamorösen Beziehungen, die irgendwo eher ein fauler Kompromiss sind und emotional höchst komplex. Etwas tragisch ist es ja schon, dass wir lernen müssen, zu akzeptieren, dass wir nicht Stabilität, Kontinuität und Liebe, Sex und Aufregung gleichzeitig haben können. Wahrscheinlich muss man sich für eine Seite entscheiden. Wie in allen Lebenssituationen gibt es leider auch hier keine problemlose Lösung. Vielleicht ist das Treffen mit einem Begleiter so etwas wie ein Kompromiss ohne Schmerzrisiko! Wenn ich Sex mit einem Callboy habe, spielen Erwartungen und Verletzungen in anderen Bereichen keine Rolle, weil es ja nun keinen Alltag zwischen ihm und mir gibt.
Was hat dein Entschluss einen Begleiter zu buchen mit unseren Vorstellungen von Sexualität zu tun?
Ich denke, dass das von der Medienindustrie verkörperte Frauenbild, die Frau wieder oder immer noch sexualisiert. Und diese Kriterien stammen von den Männern, die vorwiegend in dieser Industrie arbeiten. Wir haben aktuell keine emanzipatorischen und femininen Vorbilder und dadurch ergibt sich auch die große Unsicherheit bei Frauen, ihre Sexualität frei und sicher auszuleben. Die Revolution der Frau ist irgendwie steckengeblieben. Widersprüchlich ist das alles. Die Vorstellungen von Beziehungen scheinen sich zu wandeln, aber die Utopie der romantischen Liebe bleibt und wir suchen alle danach. Gleichzeitig wollen wir aber auch frei sein und viele Sexpartner haben. Dieses Einerseits und Andererseits, diese Ambiguität, muss man aushalten.
Wir sind ästhetisch – sinnliche Wesen und wir müssen Dinge tun, die uns etwas bedeuten und uns Freude bereiten. Die Möglichkeit einen Begleiter zu buchen, verstehe ich hier als eine Möglichkeit, Lust zu erleben, und zwar unabhängig von gesellschaftlichen Vorstellungen und Zwängen, so wie ein – ja fast schon Gegenkonzept!
Anni, ich danke dir herzlich für deinen Blick, was es mit dir macht und deine Erfahrungen zu dem Thema. Ich fand das auch für mich als Mann und Begleiter sehr inspirierend und bereichernd.
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